„Das Gaswerk ist ein phantastischer Ort“

André Bücker, Intendant des Staatstheaters Augsburg, blickt auf das erste Jahr auf dem Gaswerksareal zurück. Er erzählt von Stolpersteinen, der einzigartigen Wirkung des Ofenhauses und der Zukunft der Brechtbühne.

Herr Bücker, was genau macht eigentlich ein Intendant?

André Bücker: Flapsig formuliert bin ich der Chef des Theaters. Damit habe ich die künstlerische Gesamtverantwortung. Ich arbeite eng mit dem Geschäftsführenden Direktor zusammen, der für die Zahlen verantwortlich ist und mit den Spartenleitern, etwa dem Operndirektor und dem Chef des Balletts. Von der Konzeption des Spielplans bis zum Ansetzen der einzelnen Vorstellungen strukturieren wir den Theaterbetrieb. Das sind alles in allem etwa 800 Veranstaltungen im Jahr, die knapp 400 Mitarbeiter stemmen. Gerade durch die Sanierungssituation setze ich mich aktuell aber auch mit Themen auseinander, die normalerweise nicht zu den klassischen Aufgaben eines Intendanten gehören. Etwa Bauthemen oder die Frage, welche Türklinken wir bestellen sollen.

Sind sie denn auch künstlerisch tätig?

Da ich eigentlich Regisseur bin, inszeniere auch zweimal pro Jahr hier am Haus eine Oper und ein Schauspiel.

Wie würden Sie sich wünschen soll das Theater von den Augsburgern wahrgenommen werden?

Als künstlerisch hochwertig arbeitendes Haus, das trotz der Umbausituation sehr gute Produktionen anbietet. Wir wollen ein Theater für alle Augsburger sein. Daher haben wir ein breit gefächertes Programm vom Weihnachtsmärchen bis zur großen Operngala, vom Symphoniekonzert bis zum Klassenzimmerstück.

Jetzt blicken wir auf ein Jahr Gaswerk zurück: An was erinnern Sie sich besonders gerne?

Die Eröffnung. Unsere erste Premiere, das Stück Europe Central, war ein ganz besonderer Roman, den wir auf die Bühne gebracht haben.

Gabs auch Stolpersteine, die Ihnen noch im Gedächtnis sind?

Es gab schon ein paar Kleinigkeiten. Aber grundsätzlich lief alles ganz reibungslos. An etwas Witziges kann ich mich gut erinnern: Wir saßen bei einer Beleuchtungsprobe und plötzlich stiegen uns Küchengerüche in die Nase. Eine Klappe in der Lüftung war falsch geschaltet. Das wurde dann aber auch schnell behoben.

Der Umzug war ja eine große Veränderung für alle Beteiligten. Wie geht man damit um?

Das Theater ist ein sehr flüchtiges Medium. Es passiert in diesem Augenblick und dann ist es weg. Es gibt keine zwei Aufführungen, die sich ähneln. Das ist nicht wie beim Film. Da sieht man immer dieselben Szenen, dieselbe Perspektive. Insofern ist das Theater an sich eine permanente Veränderung. Der ganze Umzug, die Sanierung, umbauten waren eine positive Herausforderung, die wir zu meisten hatten.

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Wie kommt die neue Bühne bei den Schauspielern an?

Der Spirit dieser alten Industriebauten steckt an: Die haben eine Patina, da atmet etwas. Das ist kein schnöder neuer Zweckbau. Das Gaswerk erzählt eine Geschichte – und genau das machen die Schauspieler ja auch. Dennoch muss man sich so einen Raum erst erspielen. Der ist akustisch anders und man hört sich selber anders, wenn man drin spricht. 

Hat das Gaswerk neue Besucher angesprochen?

Die Spielstätte im Gaswerk ist ein riesen Publikumsmagnet. Die Menschen sind neugierig auf das Ofenhaus und lieben die tolle Atmosphäre, die man schon beim Betreten spürt. Da ist ein phantastischer Ort entstanden, der sicherlich dabei hilft, Menschen anzusprechen, die bisher vielleicht noch nicht vom Theater in den Bann gezogen wurden. Dennoch gibt es immer noch Menschen, die der sogenannten Hochkultur mit einer gewissen Schwellenangst gegenüberstehen.

Diese Schwellenangst gegenüber dem Theater kennen viele. Was entgegnen Sie jemandem, der sich nicht so richtig ins Theater traut?

Ich finde das sehr schade, denn in erster Linie beschneidet man sich ja selbst. Es geht nicht darum, ein Stück bis ins kleinste Detail zu verstehen. Jeden erreicht etwas anderes: bei dem einen ist es die Ästhetik, beim anderen der Text oder eine schauspielerische Leistung. Theater ist immer eine kommunikative Interaktion. Das ist das Wesensmerkmal. Die Bühne kommuniziert mit den Zuschauern und die Zuschauer mit der Bühne. Sicherlich hat man auch mal Abende, an denen einen das Stück nicht so anspricht. Aber das gibt es ja auch bei einem Fußballspiel, Popsongs oder Kinofilmen. Aber man stellt ja nicht die Popmusik in Frage, nur weil ein Song daneben ging.

Welches Stück muss sich jeder Augsburger unbedingt in der kommenden Theatersaison ansehen?

Das kann man nicht an einem Stück festmachen. Der ganze Spielplan ist etwas Besonderes, weil wir nur Uraufführungen und deutsche Erstaufführungen dort zeigen. Thematisch sind es insgesamt sechs sehr spannende Stücke, für die wir extra ein Abo aufgelegt haben.

Werden Sie das Gaswerksgelände verlassen, wenn das große Haus fertig saniert ist?

Für uns ist es keine Option auf dem Gaswerksgelände zu bleiben. Leider sind die Werkstätten einfach zu klein, um die Bühne des großen Hauses zu bestücken, wenn es saniert ist. Jetzt, in der Interimszeit, kommen wir damit gut klar. Aber man darf auch nicht vergessen: der Betrieb ist im Moment auseinandergerissen. Ein Teil im martini-park, ein Teil auf dem Gaswerksgelände. Das ist für uns jeden Tag eine ungeheure logistische Herausforderung. Wie verbringen viel Zeit damit, zwischen den Orten hin- und herzupendeln. Die Planung, alles an einem Punkt in der Innenstadt zu konzentrieren, macht auch betriebswirtschaftlich Sinn. Und das Theaterviertel bekommt die Chance, sich zu entwickeln.

Wie sehen Sie die Zukunft des Gaswerksareals?

Das Gaswerk wird in den nächsten Jahren eine enorme Entwicklung nehmen. Das ist ein phantastisches Areal mit großartigen Möglichkeiten. Wenn wir das erst einmal „warmgewohnt“ haben, werden sich dort tolle Projekte ansiedeln. Der Bedarf ist mehr als da, denn Augsburgs Kreativszene legt eine spannende Entwicklung hin. Wir sind der Vorreiter und führen das Ofenhaus ein. Und wenn wir es irgendwann verlassen, wird es spektakulär weitergehen.

Fotos:
swa / Thomas Hosemann
Mercan Froehlich