Gaswerkgelände an einem sonnigen Tag mit Besuchern

Das Staatstheater Augsburg zieht auf das Gaswerk Areal

Elend am Original- Schauplatz

Es bietet sich in Augsburg eine famose Gelegenheit: Weil das Haupthaus des Theaters immer noch zwecks Sanierung gesperrt ist, wird auf dem ehemaligen Gaswerkareal ein neues Schauspielgebäude eingerichtet. Und jetzt kann man Georg Kaisers Gas-Trilogie praktisch an einem Original-Schauplatz aufführen. Das ehemalige Kühlergebäude gibt eine grandiose Kulisse für Antje Thoms Inszenierung ab.

Willkommen in der Isolation

Der erste Teil, "Die Koralle", funktioniert als Stück am besten und handelt viel vom Ausgeschlossensein aus einer Parallelwelt, die nur einen Steinwurf weit weg von der eigenen existiert. Schon auf dem Weg zum Theatereingang lungern als Obdachlose verkleidete Schauspieler herum, betteln entweder stumm um "Geld für Gas", klampfen oder schwingen große Reden zum Zustand der Welt. Die Zuschauer werden am Eingang mit Kopfhörern ausgestattet. Nachdem sie ihre Plätze eingenommen haben, drängen die Elends-Darsteller ebenfalls herein und lungern auf der Spielfläche herum. Im Stück ist "offener Donnerstag": ein Milliardär, eigentlich sein Sekretär, der auch noch sein Doppelgänger ist, empfängt Bittsteller. Man hört die Betteldialoge über die Kopfhörer, während man den Wartenden zuschaut. Und weil man eben nur über Kopfhörer dabei ist, löst sich auch das Zuschauerkollektiv auf. Man fühlt sich isoliert und zurückgelassen. Gelungen sind auch die Details auf der Audiospur, das permanente Schlürfen an der Kaffeetasse und das Klappern der Rechenmaschine, bevor der Sekretär eine Wohltat erweist.

Georg Kaiser war in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einer der meistgespielten Autoren auf deutschen Bühnen. Die Gas-Trilogie entstand von 1917 bis 1920 unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs. Es ist ein wütendes, expressionistisches Anschreiben gegen den Irrsinn, dessen Zeuge er wurde. Letztendlich drängt sich aber beim Wiederlesen der Texte auch der Verdacht auf, dass Kaisers Erfolg auch seinerzeit schon auf einer gewissen Lust am Elends-Voyeurismus beruhte. Da halten Arbeiter fett klingende Trauerreden und ringen um ihre Würde. Das fühlte sich damals wahrscheinlich schon gut an im Theatersessel.
Antje Thoms setzt an dieser Stelle wieder auf den Raum. Der bringt eine gewisse Sakralität mit. Eine Beerdigung wird zelebriert wie ein Gottesdienst. Die Schauspieler bewegen sich wie die Räder einer Maschine. Ein zum Schluss die Kommandogewalt übernehmender "Chor der Gelbfiguren" spricht mit der Stimme des Betriebssystems macOS. Georg Kaisers Fortschrittsskepsis ist aktuell in einer Zeit, in der sich die Menschen immer mehr von Maschinen und Algorithmen beherrschen lassen. Hier dient sie aber in erster Linie als Vorlage für eine sehr gut funktionierende Kunstübung.